Als Reporter bekommt man im Restaurant die Sonnenseite zu sehen. Das Gegenüber ist gut aufgelegt, die Küche tipptopp und Köche und Bedienungen verrichten lächelnd ihre Arbeit. Aber wie geht es in der Küche zu, wenn 60 Gäste im Lokal sitzen, die einen noch die Vorspeise genießen, während der nächste Tisch bereits auf den dritten Gang wartet?
Bei meinem Interview für Meiningers Craft habe ich den Münchner Spitzenkoch Shane McMahone gefragt, ob ich für einige Tage seine Küchenmannschaft verstärken dürfte. Drei anstrengende, spannende und vor allem bereichernde Tage konnte ich so hinter den Kulissen von „Shane’s“ im Glockenbachviertel verbringen.
„Kochen ist Krieg“ ist der Titel eines populären Buchs mit Stories aus Deutschen Küchen. „Kochen ist Präzision“, „Kochen ist Leidenschaft“, oder „Kochen ist ein verdammt hartes Stück Arbeit“, würde mir besser als Titel gefallen. Der Ton in der Küche mag hin und wieder an einen Kasernenhof erinnern, mit kurzen knappen Kommandos und dem obligatorischen „Jawoll“ der Köche. Missverständnisse könnten das sorgsam ausgetüftelte Menü ruinieren und wenn es Schlag auf Schlag gehen muss, sind keine langen Reden angesagt. Doch die Stimmung im Team ist locker bis freundschaftlich – solange niemand Shane’s Anspruch an perfekte Kochkunst in Frage stellt.
Mit geschlossenen Augen könnte ich jetzt sagen, ob ich in einer Spitzenküche stehe. Qualität duftet. Reife Tomaten verströmen ihr süßes Aroma, Kartoffeln riechen erdig, Töpfe mit Basilikum erinnern an Urlaub am Mittelmeer. Auf dem Herd verbreiten angeröstete Knochen mit Gemüse und Gewürzen als Ansatz für Wild- oder Geflügelfonds ihr kräftiges Aroma. Und immer wieder Kräuter. Händeweise wandern sie in Saucen oder geben Gerichten fein dosiert den letzten Schliff.
Für Köche und Küchenhelfer beginnt der Arbeitstag gegen Mittag. Was Abends in Windeseile hergerichtet werden soll, wird in den Stunden zuvor geputzt, geschnippelt, blanchiert und in Blechwannen oder Kunststoffgefäßen ins Kühlhaus gepackt. Nachtische werden kreiert, aus einer Steige frischer Himbeeren entsteht ein cremiges rosa Sorbet, das später mit frischen Früchten, weißer Schokolade und Cremeschnitten auf dunklen Tellern angerichtet die Gäste zu Lobeshymnen animieren wird. Drei Köche und zwei Küchenhelfer sorgen für das perfekte „Mise en Place“ für den Abend.
Wenn die Angestellten zu arbeiten beginnen, hat Shane schon einige Stunden Arbeit hinter sich. Nur wenige Minuten vom Restaurant entfernt befinden sich die Münchner Großmarkthallen – für Shane ein Ort der Inspiration. In seinem Restaurant gibt es keine Speisekarte, immer aufs Neue kreiert der Koch Gerichte aus den Zutaten, die ihm bei seinem Bummel durch die Stände in besonderer Qualität auffallen. „Überraschungsküche“ nennt er sein Konzept. Seit über 20 Jahren kommt er fast täglich hierher – „hey Shany“ schallt es ihm überall von Lieferanten entgegen. Kistenweise wandern Salat, Paprika, Gemüse und Kräuter in den Lieferwagen, an einem Stand ersteht er noch einige ansehnliche Trüffel.
Die Voraussetzung für Shane’s Spontanküche ist Erfahrung. Sieben Jahre hat er unter anderem bei Hans Haas im Tantris und im Königshof bei Bobby Bräuer gearbeitet, bevor er den Schritt zum eigenen Lokal wagte. Diese Erfahrung gibt er jetzt an die jungen Köche im eigenen Lokal weiter. Seine Küche vereint asiatische Elemente mit mediterranen oder auch österreichischen Komponenten. An diesem Abend gibt es unter anderem Tataki vom Bluefin Tuna, gebratene Jakobsmuscheln mit Artischocken, Black Cod mit Dashi Linsen, ein Carpaccio vom Iberico-Schwein mit schwarzen Trüffeln, Schwarzfederhuhn mit Asia Spargel und ein Basilikumsorbet.
Eine Herausforderung sind die vielen Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Essgewohnheiten, die die Gäste mittlerweile haben. An diesem Abend gibt es Veganer, Vegetarier, Gluten-Unverträglichkeit und Lactose-Intoleranz. Für jeden Einzelnen ändert das Team das Menü so ab, dass er nur die Lebensmittel bekommt, die er essen mag – und es trotzdem keine Abstriche im Geschmack gib. Besonders kniffelig ist eine junge Dame mit Histaminintoleranz – denn diese Stoffwechselerkrankung schließt unter anderem alle fermentierten Lebensmittel aus – dazu gehört Essig, fast alle Gewürze, aber auch die meisten Gemüse und frischen Früchte.
Wenn die Gäste am Tisch sitzen, verändert sich die Stimmung in der Küche. Wo zuvor noch geschwätzt und gescherzt wurde, herrscht jetzt absolute Konzentration. Jeder arbeitet an seinem Platz, zu hören sind nur die knappen Ansagen von Shane, wenn die Bestellungen eintreffen. Jetzt geht es nicht mehr nur um Geschmack, sondern auch um Ästhetik. Jeder Teller wird akkurat angerichtet – trotzdem achtet der Chef darauf, dass alles „freehand“ aussieht.
Für das Carpaccio wurden zuvor hauchdünne Scheiben vom Iberico-Schweinebraten aufgeschnitten, die jetzt sorgsam auf die Teller drapiert, mit gepoppter Schweineschwarte bestreut und mit Goma Dressing, und Murray River Salt Flakes abgeschmeckt werden. Die schwarzen Trüffel, die Shane am Vormittag erstanden hat, hobelt er jetzt großzügig über die Vorspeise. Der Aufwand kommt an – immer wieder richten die Bedienungen Komplimente der Gäste aus.
Es ist fast 23 Uhr, als die letzten Gerichte die Küche verlassen. Die Mannschaft ist rechtschaffend müde, doch jetzt muss die Küche blitzblank aufgeräumt werden. Wer hungrig ist, kann sich an „Resten“ gütlich tun – und auch das Endstück vom Rehbraten schmeckt verdammt lecker.
Nach drei Tagen bewundere ich alle Köche, die trotz enormer Anspannung und körperlicher Leistung jeden Tag aufs Neue Spitzenleistungen für ihre Gäste bringen. Das Kreuz schmerzt, die Oberschenkel melden nach dem stundenlangem Stehen ebenfalls Protest an – und ich freue mich darauf, wieder früh ins Bett zu kommen. Und morgen Abend gehe ich irgendwo richtig lecker essen!
Autor: Fridtjof Atterdal
Journalist, Fotograf
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