Seestern Ulm: Flüssige Sterneküche

Das Sternerestaurant „Seestern“ in Ulm ist ein Labor für flüssige Aromen. Die Getränke werden genauso sorgfältig wie die Sternegerichte komponiert und speziell zu den Gerichten kreiert. Gerichte inspirieren zu Getränken, Getränke zu Gerichten.

Philipp Bieringer, Klaus Buderath und Benedikt Wittek. Fotos: Anna Kondratenko

In der Welt der Sterneköche gibt es jede Menge Trends. Getränkebegleitung ohne Alkohol ist vielleicht nicht die allerneueste Erfindung – immer mehr Menschen achten auf ihre Ernährung und wollen auch in der Spitzengastronomie auf Alkohol verzichten. Was allerdings die beiden Sterneköche Klaus Buderath und Benedikt Wittek im Ulmer „Seestern“ veranstalten, gibt dem Thema eine neue Dimension. 

Der Seestern ist ein Labor für flüssige Aromen. Die Getränke werden genauso sorgfältig wie die Sternegerichte komponiert und speziell zu den Gerichten kreiert. Gerichte inspirieren zu Getränken, Getränke zu Gerichten. Buderath und Wittek sammeln Wacholder auf der Heide, pflücken Fichtensprossen und Johannisbeeren und „brauen“ mithilfe von Kombucha, Wasserhefe, Kefir oder Tees aus Gemüseresten Getränke, die die Geschmacksknospen der Gäste vor ganz neue Herausforderungen stellen. Es gibt Winterestragon-Kombucha der nach Almdudler schmeckt oder einen Paprikawasser-Kefir, der mit seinem Geschmack nach rohem Gemüse polarisiert. Kaffee wird mit Johannisbeerholz vergoren und zu Mousse gereicht. 

Wenn ein neuer Gang entsteht, ist die erste Frage: still oder spritzig? Säure oder Süße? Frucht, Holz oder Ferment? „Der Kombucha liefert uns diese leichte, animierende Säure, die Lust macht, weiterzuessen“, erklärt Buderath. „Aber er darf nicht dominieren. Es geht um Balance – Säure, Zucker, Textur.“

In der kleinen Sterneküche des Seesterns hat sich so ein neuer Job herauskristallisiert – der Getränke-Koch. Anders als der Sommelier macht er seine Getränke selbst und braucht dazu die Küche und seine kochenden Kollegen, die nicht nur Inspiration, sondern auch viele der Zutaten für die ungewöhnlichen Kompositionen liefern. Im Seestern hat diesen Posten Serviceleiter Philipp Bieringer inne, der sich seit zwei Jahren in die Materie eingearbeitet hat und nach vielen Versuchen und einer größeren Kombucha-Explosion in der Küche mittlerweile verdammt leckere Getränke zu den Gerichten seiner Kollegen beisteuert. Für viele Gäste sind schon die Getränke einen Besuch des Lokals wert – und sogar der Guide Michelin hat die Getränke in seiner aktuellen Ausgabe hervorgehoben.

Tasting: Das Aroma von Blumenkohl

Eine Gewürzmischung herzustellen ist klassisches Food-Pairing. Die Bestandteile müssen auf das Gericht abgestimmt sein, dürfen nicht reiben, aber auch nicht langweilig schmecken. Eine Gewürzmischung für eine Blumenkohlsuppe? Ist eine größere Herausforderung als man meinen möchte.

Rote Beeren, Pfeffer und viele andere Gewürze kommen beim Tasting-Seminar zum Einsatz. Fotos: Anna Kondratenko

Beim Gewürztasting von Stefan Settele dreht sich alles um Aroma und Geschmack. Der Tisch im Garten des Traditionsgasthauses ist mit allen nur erdenkliche Gewürzen und Kräutern beladen die darauf warten, verkostet und gemäß ihrem Geschmack kategorisiert zu werden.

Aromen lassen sich grob in Aromagruppen oder Aromafamilien einteilen. Es gibt fruchtig (Zitrusfrüchte, Obst, Südfrüchte), grün (Basilikum, Minze, Tomate, Gurke oder Wassermelone) oder auch blumig (Lavendel, Rose, Honig, Jasmin, aber auch Koriander oder Kardamon). Andere Aromen sind würzig (Nelke, Piment, Vanille oder Tonkabohne), holzig-harzig (Zirbe, Tanne, Wacholder oder Pfeffer), Röstaromen (Kaffe, Brotkruste, Gegrilltes), nussig (Mandeln, Erdnüsse, Bockshornklee), vegetabil (Lauch, Kohl, Radieschen, Spargel) und zuletzt animalisch (Leder, Tierhaare, Stallgeruch). Woran man schon sieht – nicht jedes Aroma muss angenehm sein.

Foto Anna Kondratenko
Fruchtige und grüne Aromen stammen meist von Zitrusfrüchten und Kräutern.

Die Theorie ist einfach – Gleiches passt zu Gleichem. Im Fall des Blumenkohls hat Stefan Settele die Pflanze in kleine Stücke geraspelt und getrocknet. Der Blumenkohlgeruch ist intensiv und irgendwo zwischen vegetabil, blumig und würzig einzuordnen.

Gleiches zu Gleichem ist eine Herangehensweise und führt im Foodpairing zu „Harmonie“. Was allerdings meistens ein wenig langweilig ist. Weshalb es das ergänzende Konzept des „Completings“ gibt – bewusste Kontraste, welche das Gericht spannender machen. Im Fall des Blumenkohlgewürzes wandern nach einigen Diskussionen Kardamon, Muskatnuss, Kubenenpfeffer und Bockshornklee in die Mischung. Abgerundet wird sie mit roten Beeren und Kornblumenblüten. Vermutlich würde man das Gewürz später noch ein wenig verschlanken und die eine oder andere Zutat wieder herauswerfen. Aber für den ersten Versuch ist das Ergebnis überzeugend – und die verfeinerte Blumenkohlsuppe schmeckt auf jeden Fall interessant.

Gewürzsommelier Manuela Mahn: Aroma, Geschmack und Zimtkringel

Das Thema Gewürzsommelier hat Fotografin Anna Kondratenko und mich nicht mehr losgelassen. Nach unserem faszinierenden Besuch bei Gewürzsommelier Stefan Settele sind wir direkt an die Quelle gefahren – nach Kulmbach zur Gewürzexpertin, Gastrosophin, Buchautorin und promovierten Wissenschaftlerin Dr. Manuela Mahn. Selbst jahrzehntelang in der Gewürzindustrie als Beraterin beschäftigt, ist sie eine Quelle an spannenden Informationen rund um Aroma, Geschmack und den richtigen Einsatz von Kräutern und Gewürzen. Wir haben uns im Gewürzmuseum in Kulmbach getroffen, an dessen Entstehung Manuela Mahn als Kuratorin beteiligt war und in dem die Ausbildung stattfindet.

Die Ausbildung zum Gewürzsommelier findet im Deutschen Gewürzmuseum in Kulmbach statt. (Fotos: Anna Kondratenko)

In der Genussakademie in Kulmbach bildet sie Lebensmittelprofis zu Gewürzsommeliers weiter. Die Ausbildung ist exklusiv – in den vergangenen zehn Jahren wurden gerade mal 169 dieser staatlich geprüften Sommeliers ausgebildet. Und fast 20 Prozent der Teilnehmer schaffen die anspruchsvolle Abschlussprüfung nicht.

Wenn man über Essen spricht, fallen die Begriffe „Aroma“ und „Geschmack“. Zumeist synonym verwendet, sind sie doch völlig unterschiedlich, wie wir lernen durften. Um es kurz zu machen – Geschmack entsteht auf der Zunge, Aroma in der Nase.

Auch Kräuter werden in der Ausbildung zum Gewürzsommelier behandelt.

Die Zunge kann nur fünf Geschmacksrichtungen wahrnehmen – süß, salzig, sauer, bitter und umami“ erzählt uns Mahn. Alles andere ist die Wahrnehmung von ätherischen Ölen und anderen flüchtigen Stoffen über den Geruchssinn. „Mit der reinen Geschmackssprache kommen wir oft nicht weiter – stattdessen müssen wir die Aromatik betrachten“ sagt die Gewürzexpertin. „Wir analysieren die Substanzen aus den ätherischen Ölen und beschreiben sie – das gibt uns eine viel genauere Vorstellung davon, wie ein Gewürz tatsächlich schmeckt und wirkt. Die Aromen gehen durch die Nase direkt ins Gehirn und ins Erinnerungszentrum. Das ist oft mit Emotionen verbunden. Der Duft von Zimt weckt Erinnerungen an Advent und Weihnachtsplätzchen – oder in meinem Fall an frisch gebackene „Kanelsnurrer“, leckere Zimtkringel, wie es sie in Norwegen überall zu kaufen gibt.

Manuela Mahn ist übrigens Autorin mehrerer Bücher über Gewürze. Gerade ist ihr neues Buch „144 Gewürze“ im Christian-Verlag erschienen. Das Buch enthält ihr Wissen aus 30 Jahren als Gewürzexpertin und ist auch für Hobby-Köche lesenswert.

Autor: Fridtjof Atterdal
Fotos: Anna Kondratenko
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